Hue Bao lebt seit elf Jahren in einem Kloster in Frankfurt. Jetzt soll er zu buddhistischen Studien nach Indien gehen. Der Jugendliche gilt als Wiedergeburt eines bedeutenden Mönches.
Hühner gackern in ihrem Gehege, im Garten wachsen Kräuter, der Speisesaal bietet einen weiten Blick über Wälder und Höhen. Mag es im Tal heiß sein, in dem in gut 500Metern Höhe gelegenen Kloster „Buddhas Weg“ im Wald-Michelbacher Ortsteil Siedelsbrunn sind die Temperaturen erträglich. Ein guter Ort, um Ruhe zu finden, für die Mönche und Nonnen genauso wie für deren Gäste, die dort meditieren, Seminare besuchen oder sich naturheilkundlich behandeln lassen können.
Für Hue Bao ist es mit der Ruhe bald vorbei. Im September geht der 14 Jahre alte Novize nach Indien, zum Studium an der traditionsreichen Klosteruniversität Sera Jey im Süden des Landes. Er wird mit mehr als 3000 Mönchen zusammenleben, die dort lernen. Kein Vergleich zu der beschaulichen buddhistischen Welt, in der sich der Jugendliche bislang bewegt: In dem 2009 gegründeten Kloster im Odenwald leben zehn Mönche und Nonnen, im Mutterhaus in Frankfurt, der Pagode Phat Hue an der Hanauer Landstraße, sind es zwölf.
Große Pläne für die Zukunft
Hue Bao macht keinen Hehl daraus, dass er Angst vor dem neuen Lebensabschnitt hat. „Ich habe keine Ahnung, was mich dort erwartet.“ Neugierig ist er aber auch. Diese Haltung wird er sich bewahren müssen, denn die spirituelle Ausbildung, die er vor sich hat, dauert 14 Jahre. Einschließlich einer weiteren, sich anschließenden Lehrzeit wird er 35Jahre alt sein, bis er all das beherrscht, was ein spiritueller Meister wissen muss.
In Hue Bao werden hohe Erwartungen gesetzt. Zum Beispiel könnte er eines Tages das Kloster im Odenwald leiten, dem heute der Abt Thich Thien Son vorsteht. Der Sechsundvierzigjährige, der auch die Pagode in Frankfurt führt, sieht in Hue Bao nichts weniger als den künftigen „Halter“ der Lin-Chi-Linie, jener Zen-Tradition, der er selbst angehört.
Die Eltern sieht er in den Ferien
Ganz verstehen kann Hue Bao seine besondere Bedeutung selbst noch nicht. Doch er gilt nach dem Glauben seiner Gemeinschaft als die Wiedergeburt eines einst sehr bedeutenden Mönches. Dieser kannte die Eltern von Hue Bao, lange bevor er auf die Welt kam. Die Eltern stammen aus Vietnam. Mit der Geburt ihres Sohnes am 8.Juli 1999 waren bestimmte Zeichen verbunden, die der Mönch vorhergesagt hatte, so dass die Familie das Kind schließlich in die Obhut des Klosters gab. Drei Jahre alt war Hue Bao damals.
Anfangs lebten die Eltern mit in der Frankfurter Pagode, zogen dann aber aus beruflichen Gründen nach München. Bis heute hat Hue Bao telefonisch Kontakt zu ihnen und sieht sie während der Ferien. Das war auch dem Frankfurter Jugendamt wichtig, das sich recht bald mit der Entwicklung Hue Baos befasste.
Er war auf der Waldorfschule
„Das Ganze war ungewöhnlich für uns“, sagt Ingrid Puhmann, die für die Heimaufsicht zuständig ist. Als was gilt die Pagode, die weder ein Heim noch sonst eine Jugendhilfeeinrichtung ist und in der doch ein Kind, ein Jugendlicher lebt? Gemeinsam fand man eine Lösung in diesem, so Puhmann, „besonderen Einzelfall“. Entscheidend für die Behörde war vor allem, den Willen der Eltern zu respektieren, Hue Bao in die Pagode zu geben, aber auch zu wissen, dass er dort geschützt aufwächst und zugleich Kontakt zur Familie halten und Beziehungen zu Gleichaltrigen pflegen kann. In all den Jahren ist dem Jugendamt nichts negativ aufgefallen, wie Puhmann sagt.
Hue Bao ist in Frankfurt in den Kindergarten gegangen und hat danach die Waldorfschule besucht. Für den Kontakt zur Schule war Dagobert Ossa zuständig. Er war mit den Eltern Hue Baos, dessen kleiner Schwester und dem Jugendamt Ende Juni in der Schule, um über den weiteren Weg des Jungen zu sprechen. „Es wurde vereinbart, dass er jederzeit an die Schule zurückkann“, hebt der 72 Jahre alte ehrenamtliche Mitarbeiter der Pagode hervor, der für Hue Bao so etwas wie ein Großvater ist. Sein jüngstes Geschenk für Hue Bao war ein Atlas, in dem er unter anderem mehr über Indien erfahren kann, seine neue Heimat auf Zeit.
Deutsche Sprache weiter pflegen
Die Klosteruniversität Sera Jey liegt in Bylakuppe im Distrikt Mysore, etwa 200 Kilometer südöstlich von Bangalore, Indiens drittgrößter Stadt. Die Wurzeln der Universität reichen bis ins 15.Jahrhundert zurück. Sie wurde in Tibet gegründet. 1959, nach dem Einmarsch chinesischer Truppen, flohen viele Tibeter aus ihrem Land, unter ihnen der Dalai Lama. Unter dessen Schirmherrschaft und der Indiens wurde die Klosteruniversität in Bylakuppe 1970 wieder aufgebaut.
Um Hue Bao wird sich wegen seiner besonderen Rolle der Abt der Klosteruniversität persönlich kümmern, wie Thich Thien Son sagt. Er selbst will seinen Schützling einmal jährlich besuchen. Hue Bao soll aber auch regelmäßig nach Deutschland kommen, damit er die deutsche Sprache weiter pflegt und den Kontakt zum Westen nicht verliert. Sollte Hue Bao sich von seinem Weg nicht abwenden und sein Mönchtum aus Überzeugung annehmen, wird er mit 20Jahren voll ordiniert werden. „Er kann ein Brückenbauer zwischen den Kulturen in Ost und West werden“, sagt Ossa.
Interesse an Kursen wächst
Ein solcher Brückenbauer ist Thich Thien Son schon. Der Zen-Meister wurde 1967 in Saigon geboren und kennt das Klosterleben, seit er acht Jahre alt ist. Während des Vietnamkriegs gelang seiner Familie die Flucht, Thich Thien Son wuchs in der Nähe von Hannover auf. Nach dem Abitur studierte er in Sri Lanka, Taiwan und China. 2002 richtete er die Pagode in Frankfurt ein, die wie das Kloster in Wald-Michelbach von der Deutsch-Vietnamesischen Buddhistischen Gemeinde getragen wird, zu der im Rhein-Main-Gebiet rund 7000 Mitglieder gehören.
In beiden Häusern bietet Thich Thien Son Kurse an. Dass die Suche nach Angeboten zur „Heilung auf körperlicher und seelischer Ebene“ wächst, liegt für ihn angesichts der Wirtschaftskrise auf der Hand, denn mit ihr werde die Unsicherheit in der Gesellschaft stärker. Mit der Niederlassung im Odenwald, in einer früheren Sucht-Klinik, hat die Gemeinschaft ihr Wirken bis in die Heidelberger und Mannheimer Gegend ausgeweitet.
„Wir hatten eine gute Klassengemeinschaft“
Für die Mönche und Nonnen beginnt der Tag in „Buddhas Weg“ früh. Wenn andere Vierzehnjährige noch schlafen, findet Hue Bao sich um 5.30Uhr zur Morgenmeditation ein, eine halbe Stunde später werden Achtsamkeitsübungen rezitiert. Frühstück gibt es um 8 Uhr. Der Tag endet um 21 Uhr mit der Abendmeditation.
Schon oft hat der Abt Hue Bao mit auf Reisen genommen, auch ins Ausland. Zugleich versucht er, ihn nicht allzu sehr in den Vordergrund zu stellen. Lief Hue Bao bei Prozessionen früher direkt hinter dem Abt, reiht er sich mittlerweile weiter hinten ein. Im großen „Sommer-Retreat“, das regelmäßig im Odenwald stattfindet, gehörte Hue Bao selbstverständlich zur Jugendlichen-Gruppe. Und in seine Klasse der Waldorfschule hat er sich gut integriert, trotz der Mönchskutte, die er trägt. Er hat dort Freunde gefunden, ist mit ihnen in der Eissporthalle Schlittschuh gelaufen. „Wir hatten eine gute Klassengemeinschaft“, sagt er. Wie das wohl in Indien sein wird, mag er sich fragen. Hue Bao macht einen freundlich zurückhaltenden Eindruck. Fremden Auskunft über sich zu geben ist er noch nicht gewohnt.
Kraft und Ruhe
Abt Thich Thien Son meint, dass der Vierzehnjährige eigenständig genug für den nächsten Schritt seiner Ausbildung ist. Allzu lange warten will er nicht mehr, sonst wäre Hue Bao angesichts der langen Lehrzeit zu alt, um die Aufgaben anzugehen, für die er ausgesucht ist. Vom Buddhismus kennt er schon viel, praktiziert er ihn doch von Kindesbeinen an. Zum Beispiel sind die Mönche und Nonnen kahlgeschoren, um sich nicht an Äußerlichkeiten wie an eine Frisur zu binden. „Es geht darum, uns von Anhaftungen zu befreien“, sagt Hue Bao und benennt damit eine zentrale Überzeugung des Buddhismus: Das Klammern an Vergängliches verursacht Leid, nur die Absage an Gier und Abhängigkeit führt davon weg.
Einen Ort, darüber nachzudenken, bietet im Kloster „Buddhas Weg“ zum Beispiel eine riesige goldene Statue im Garten, die einen der ersten Lehrer des tibetischen Buddhismus darstellt, der im 8. Jahrhundert gelebt hat. „Padmasambhava“ wird er genannt, „Lotusgeborener“. „In unserer heutigen Zeit, in der negative Emotionen und allgemeine Verwirrung immer größer werden, spielt er eine ganz besondere Rolle“, glaubt Dagobert Ossa. „Möge die Statue viel Kraft ausstrahlen.“
Geschenk der Schulkameraden
Padmasambhava wird auch in Sera Jey verehrt, wie Bilder einer Zeremonie von diesem Jahr auf der Internetseite der Klosteruniversität zeigen. Bei der nächsten Feier dieser Art wird Hue Bao wohl genauso dabei sein wie beim Besuch des Dalai Lama, der sein Kommen für den Jahreswechsel angesagt hat, um Unterweisungen zu geben.
Zum Abschied haben seine Schulkameraden für Hue Bao eine Fotogalerie zusammengestellt, ein Stück Frankfurt für das ferne Bylakuppe. Besonders eng befreundet ist er mit Leonhard, der ihm seine Lieblingsschirmmütze geschenkt hat, sie ist abgenutzt, an einigen Stellen geflickt. Vielleicht ist die graue Kappe das persönlichste Geschenk, das Hue Bao mitnimmt.
Hinterlasse eine Antwort