Die Vietnamesen beherrschen die Kunst perfekt, Lebensmittel zur Touristenattraktion zu machen – von der Garküche bis zum Lebensmittelmarkt, wo allerlei Exotisches im Angebot ist.
Vietnamesische Märkte sind eine harte Schule für westliche Gemüter. Der schönen Vegetarierin in unserer Reisegruppe ist nach ein paar harmlosen Essständen mit Seidenraupen und getrockneten Fischstückchen bereits übel. Muss der Geruch sein.
Dabei hat sie noch nicht gesehen, wie Marktfrauen lebenden Kröten mit der Schere den Kopf abschneiden oder Enten am Flüchten hindern, indem sie ihnen mit einem Kochlöffel auf den Kopf hauen. Ganz zu schweigen von den gehäuteten Ratten, die in Reih und Glied auf Eis angeboten werden.
Die junge Vietnamesin, die uns Touristen über einen Markt führt, behauptet ebenfalls, sie sei Vegetarierin. Wobei sie auf Nachfrage erklärt, was sie damit meint: „No rats, no cats, no dogs.“
Essen in Vietnam ist abenteuerlich, nicht nur wegen der Erkenntnis, dass frisches Fleisch und wahre Frische etwas mit Töten zu tun haben. Tatsächlich schmeckt die vietnamesische Küche in Restaurants in Vietnam oft noch viel besser und meist ganz anders als in Deutschland.
Oder hat jemand bei seinem Stammasiaten schon mal ein Baguette mit Knoblauch-Leberpastete und Koriander gegessen, so wie es in dem südostasiatischen Land serviert wird? Oder Bananenblütensalat? Oder gedünstete Stängel von Lotuspflanzen? Die Vietnamesen essen fast alles, und fast alles schmeckt auch Europäern vorzüglich.
Der weite Weg lohnt sich, denn Vietnam entpuppt sich als größte Essschule der Welt. Dort gibt man sich viel Mühe, Fremden die eigene Kultur näherzubringen.
Das Land hat seit seiner Öffnung für Besucher in den 90er-Jahren darin eine regelrechte Kunst entwickelt. Von der Räucherstäbchenfabrik über die Keramikwerkstatt bis hin zur Kunstperlenzucht können Urlauber ziemlich alles mit fachkundiger Begleitung besichtigen. Und so dürfen Touristen auch viel über das Essen in der sozialistisch-kapitalistischen Republik Vietnam lernen, also über Fischfarmen, Reispapiermanufakturen, Gemüsegärten.
Die besondere Form von Lebensmittelkunde ist nicht zuletzt der DDR zu verdanken. Vietnamesische Vertragsarbeiter und Studenten haben dort Deutsch gelernt und begleiten nun Urlauber, die – wie meine Reisegruppe – meist von der Hauptstadt Hanoi im Norden nach Saigon, offizielle Bezeichnung Ho-Chi-Minh-Stadt, im Süden durch das lang gestreckte Land unterwegs sind.
Dabei beeindrucken die Führer mit Vokabeln wie „Broiler“ oder „Bildungslücke“ und mit bildhaften Erklärungen, etwa der, dass Durian schmeckt „wie eine Frucht, die man auf dem Klo isst“. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, darf beim Zwischenstopp direkt vom Baum probieren – und weiß spätestens jetzt, warum Durian auch Stinkfrucht genannt wird.
Natürlich können die Führer auch erläutern, wie die vietnamesische Küche von den französischen Kolonialherren und den Nachbarländern beeinflusst wurde. Daher zum Beispiel das Thai-Curry und das Baguette beim Vietnamesen.
Dass die Leute es im Süden süßer mögen, kann man sogar sehen: Die Menschen dort wirken beleibter als im Norden. Kaum zu glauben, dass in den 80er-Jahren Vietnamesen noch hungerten. Und dass Pangasius damals noch kein Massenprodukt war.
Frischen Fisch aus Meer oder Fluss gibt es überall in Vietnam, immerhin kann das Land mit 3200 Kilometern Küste und 41?000 Kilometern an Wasserstraßen aufwarten. Die Fischzucht im Teich lohnt sich dennoch: Wer mit dem Boot durch das Mekong-Delta tuckert, sieht garantiert ein Pangasius-Zuchtbecken, mit Platz für 50.000 bis 60.000 Fische.
Auf dem Markt kostet ein Kilo Pangasius weniger als einen Euro. Ratte ist doppelt so teuer. „Die Ratten sind voll Biokost aus dem Reisfeld. Und schwer zu fangen“, sagt ein Führer aus Saigon, der so ein Tier schon mal gegessen hat – knusprig gebraten mit Zitronengras, Chili und Sesam: „Ganz lecker.“ Hasen isst er dagegen nicht –“weil die so lieb aussehen“.
Reis (com), Fischsauce (nuoc mam), viele Gewürze und Kräuter – das sind die vietnamesischen Grundnahrungsmittel. Vielerorts können Urlauber inzwischen lernen, daraus typische Gerichte zu kochen. Vorher heißt es aber, auf dem Markt beim Einkaufen zu helfen.
In der Küstenstadt Hoi An, die wegen ihres Altstadt-Charmes von Touristen überschwemmt wird, bieten gleich mehrere Restaurants solche „Cooking Classes“ an. Besonders beliebt ist die am Fluss gelegene „Red Bridge Cooking School“, möglicherweise wegen des speziellen Humors des Personals.
Für sie arbeitet die erwähnte vietnamesische „Vegetarierin“, die sich als Su vorstellt. Beim Marktrundgang lehrt sie uns, dass die knittrigen Bittermelonen gut für alte Leute sind, Lotussamen beim Einschlafen helfen und vor allem, was das Sexualleben belebt. Sie nimmt ein Stück Ingwer in die Hand. „Wie Viagra“, sagt Su.
Auch Frühlingszwiebeln helfen angeblich. Und grüner Tee, weil der wach hält: „Gut zum Babymachen.“ Schließlich zeigt Su uns den Garten der Kochschule, in dem Süßkartoffeln wachsen. Die Blätter empfiehlt sie Schwangeren.
Auf Su folgt die Show des Kochlehrers Nguyen Thanh, der aus Hollywoodfilmen einen amerikanischem Akzent entliehen hat und einen Potenzwitz nach dem anderen reißt. Sein Standardkommentar: „Good for your banana.“
Das Publikum adressiert er konsequent mit „Ladies und Gentslemen“, wo auch immer er das „s“ her hat. Auf dem Lehrplan steht zuerst Meeresfrüchtesalat mit Kräutern, serviert in Ananas.
Jene Damen und Herren, die kein Getier aus dem Meer mögen, fragt er ernst, was mit ihnen nicht stimmt: „What’s wrong with you?“ Deutsche, Engländer, Franzosen, alle lachen. Das Weiterbildungsprogramm ist derart ausgereift, dass es auch Menschen Spaß macht, die zu Hause schon am Grießbrei scheitern.
Nun geht sogar Frühlingsrolle und mehr. Das meiste ist schon vorgeschnipselt, etliche Helfer stehen bereit, den Schülern dabei zur Hand zu gehen, vorbereitete Reispampe in Reispapier und knusprige Pfannkuchen zu verwandeln.
Das wird kaum einer zu Hause wiederholen. Aber wer „Die Sendung mit der Maus“ oder „Hobbythek“ mag, wird diese Form von Bildungsurlaub lieben. Hunger und Bildungshunger gehören in Vietnam zusammen, selbst bei einer Kreuzfahrt durch die surreal anmutenden Karstkegel der Halongbucht im Norden.
Während der Luxusdampfer durch das Unesco-Weltkulturerbeschippert, unterweist das Personal am Sonnendeck die Passagiere darin, Frühlingsrollen zu basteln und Tomatenschalen in Rosendekoration zu verwandeln.
Wie stolz die Vietnamesen auf ihre Esskultur sind, wird an Souvenirständen deutlich. Auf einem T-Shirt steht im Apple-Design: „iPho – made in Vietnam“. Pho ist Nudelsuppe und für Vietnamesen so etwas wie für Deutsche das Bier. Die Nationalflüssigkeit wird schon zum Frühstück verspeist.
Dafür setzen gute Suppenküchen mitten in der Nacht eine Rinderbrühe auf, die bis zum Morgen köchelt. In Vietnam gibt es zwar immer noch kein McDonald’s, dafür aber Ketten namens Pho 24 oder Pho 2000. Sie servieren im international üblichen Schnellimbiss-Ambiente die Suppe wahlweise mit Rind- oder Hühnerfleisch für weniger als zwei Euro die Schale, einen Teller frischer Kräuter gibt’s dazu.
Generell ist es inzwischen leicht für Touristen, landestypisch zu essen, ohne sich an Ständen am Straßenrand auf niedrige Plastikschemel hocken zu müssen, so wie es die meisten Vietnamesen tun.
Sowohl in Hanoi als auch in Saigon finden sich Filialen des Restaurants „Nha Hang Ngon“, ein vietnamesisches Schlaraffenland. Unter einem Dach sind dort etliche Garküchen versammelt, an denen der Gast vor dem Bestellen entlangschlendern kann.
Erst kommen die Suppenstände, es folgen Meeresfrüchte, Schnecken, Grillspieße, Salate, gefüllte Bananenblätter, süßer Reisbrei in allen Varianten, Reiskekse, dann wieder Gegrilltes. Rund 300 Speisen stehen auf der Speisekarte. Abenteuerlustige können auch Schweinefleisch ordern, das wie Hund zubereitet wird. Quasi die vegetarische Variante. Man lernt ja nie aus.
Die Reise wurde unterstützt von Meier’s Weltreisen und Singapore Airlines.
Hinterlasse eine Antwort